Kultig bis in die Wüste
Wolf-Ulrich Cropp

Mit dem C1 von BMW begaben sich ein Schriftsteller und ein
Betriebsleiter, beide aus Hamburg,
durch Deutschland, Frankreich, Spanien nach Marokko ...
bis Sanddünen alles versperrten und die Roller an ihre Limits
stießen. 11 213 km am Stück ist für den C1 ganz sicher ein Rekord!

Im Indischen Ozean, 15. Mai 1629.
Abend. Das Schiff rollte auf östlichem Kurs durch die lange Dünung. Beruhigend knarrten die Spanten, die Segel standen gut und die frische Brise schob den Segler mit Macht dem ersehnten Ziel entgegen. Abgesehen vom Schein einiger Öllampen, der aus dem mächtigen Holzleib drang, war das Schiff in dunkle Abendruhe gehüllt.
Lau und schön sind diese Tropennächte, dachte die junge Dame. Sie lehnte an der Reling und ließ den Wind durch ihre langen, blonden Haare streichen. Ihre Gestalt war zierlich und gut gewachsen. Das Gesicht trug feine, edle Züge, die bisweilen blasiert so wirkten, wie es die Damen der Gesellschaft gern zur Schau trugen.
Sie hatte große blaue Augen und war hübsch und begehrenswert.
"Gefährlich attraktiv!" war die Meinung der rauen Gesellen, der Teernacken, Salzbuckel und Söldner an Bord.
Doch die Dame war sorglos. Sie wusste mit kühler Arroganz Verehrer auf Abstand zu halten. Schließlich war da noch ihre Zofe. Zwaantie Hendrix. Auch die konnte sie abschirmen, so sie diese Aufgabe wahrnahm.
"Ein flatterhaftes Wesen, meine Zwaantie. Schamlos, wie sie sich mit dem ungehobelten Kapitän einlässt! Der Kommandeur dagegen ist ein echter Gentleman. Ob Zwaantie eigentlich noch loyal ist? Schließlich hat der Kapitän erst mir Avancen gemacht", sie lächelte verächtlich. "Die kalte Schulter hab`ich ihm gezeigt. Was der sich eigentlich einbildet!" Die junge Frau hing den Gedanken nicht weiter nach, genoß den allabendlichen Rundgang an Deck. Die einzige Zeit des Tages, um etwas zu sich zu kommen. Schlimm, die Enge an Bord! Ihr schauderte vor der Nacht. Das niedrige Deck, die schwüle Feuchte, die stickige Hitze und vor allem der bestialische Gestank menschlicher Ausdünstungen! Der Schiffsleib kam ihr wie ein gigantisches Rattenloch vor. Ohne die frische Abendluft an Deck hätte sie das Ungemach nicht ertragen können.
Sie schaute zum Himmel hinauf. Berauschend das flimmernde Firmament! Und das leuchtende Kreuz des Südens! Sie liebte das Sternbild. Seit dem Passieren des Äquators war es ihr so vertraut. Eine Sternschnuppe verglomm im Westen.
"Welch gutes Omen", dachte sie. "Ich wünsche mir eine rasche, sichere Überfahrt. Wie es wohl sein wird in Batavia, im fernen Java? Ich sehne mich nach ihm. Seine Briefe waren so liebevoll. Ob er jetzt auch an mich denkt?"
Die Dame war mit dem Unterkaufmann Boudewijn van der Mijlen verheiratet. Er bekleidete eine ansehnliche Stellung bei der allgegenwärtigen und mächtigen Compagnie. Noch kannten sich die beiden Eheleute nicht persönlich, man hatte sich durch eine Fernheirat versprochen. Das war nichts Ungewöhnliches, wenn der Mann Dienst in Übersee versah.
Etwas unwirsch stieß sie sich von der Reling ab. "Es wird Zeit, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen", dachte sie. "Das ewige Geschaukel, die Eintönigkeit der Rage: träge dahinziehende Wolken, das gleichförmige Wogen des Wassers, die ferne Linie am Horizont ..."
Alles zerrte von Tag zu Tag heftiger an ihren Nerven.
"Und die Menschen: einfaches, ungebildetes Volk. Bis auf wenige Ausnahmen", räumte sie ein. "Das ist doch kein Umgang! Ich komme mir vor wie in einem schwimmenden Gefängnis, in dem man von gierigen Blicken ausgezogen wird. Nein, diese langen Schiffspassagen sind für Frauen meines Standes kaum zu ertragen. Ein Wunder, dass ich noch nicht sterbenskrank bin, bei diesen Mahlzeiten: übelriechendes Wasser, Salzfleisch, harter Schiffszwieback - ungenießbar!"
Sie ging einige Schritte in Richtung Achterkastell. Den Mond verdunkelte eine Wolkenfahne. Er versuchte darunter hervorzulugen, was seiner Scheibe ein hämisches Grinsen verlieh.
"Autsch!" rief sie halblaut. Sie hatte sich an einer Winde gestoßen. "Ich hasse die Enge und das ganze Schiff, will endlich an Land", lamentierte sie vor sich hin und befühlte ihr Bein. Vorbei war der Genuß der Tropennacht. Dahin die Freude am Sternenhimmel.
Die Dame war ungerecht. Schließlich befand sie sich auf dem modernsten und schönsten Großsegler, der die Weltmeere derzeit befuhr. Es war das Retourschiff Batavia auf der Jungfernfahrt von Amsterdam, rund 2500 Seemeilen vor Java. Die Compagnie hatte die Batavia viel Geld gekostet - und sie war ihr ganzer Stolz ...
"Lucretia!" zischte plötzlich eine raue Männerstimme, bemüht, leise zu rufen. Erstaunt drehte sich die Frau um, da packten sie von hinten Hände wie Schraubstöcke und pressten ihr einen Knebel in den Mund. Strampeln half nichts. Schreien konnte sie nicht und sehen auch nichts. Arme stemmten sie hoch, schleppten sie in eine Ecke. Hastig wurden ihr die Kleider vom Leib gerissen. Jemand drang von hinten in sie ein, stieß zu, schmerzhaft, heftig. Erst langsam im Rhythmus der Dünung, dann immer schneller, wilder, brutaler. Ein Mann stöhnte gurgelnd. Lucretia roch den faulen Atem. Todesangst lähmte sie. Dann wurde sie wieder gepackt und gestoßen. Schließlich fasste man sie an den Beinen und stülpte sie kopfüber in einen Brei aus Kot und Teer. Lucretia von der Mijlen verlor das Bewußtsein.
Ein leiser Pfiff ertönte, die Peiniger ließen von ihr ab, verschwanden im Rumpf des Schiffes, geräuschlos wie Schatten.
Stunden später entdeckte der Wachoffizier ein Menschenbündel, nackt, unkenntlich und entsetzlich nach Fäkalien stinkend. Er warf eine Decke darüber und trug es unter Deck. Der Mensch kam zu sich, schluchzte vor Schmerz und Scham.
"Lucretia!" stellte der Offizier nach einer Weile erschrocken fest, legte sie auf die Pritsche und machte dem Kommandeur Meldung.
"Christus erbarme sich!" raunte das Schiffsvolk und steckte die Köpfe zusammen.
Die Untat war das beherrschende Thema. Eine Schändung! Wer war der Täter? Unheimlich.
Wie konnte das so unbemerkt geschehen? Ein Komplott? "Frauen an Bord, das bringt Unglück", so wussten es die Fahrensleute. An Bord der Batavia befanden sich viele Frauen.
"Das Schiff ist verflucht, die Seelen fahren zur Hölle", den Matrosen schauderte es. Weilte der Satan auf diesen gottverlassenen Planken?

       
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